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Auch die Rhönquellschnecke ließ sich blicken

In wohl keinem anderen Mittelgebirge in Europa werden Quellen so detailliert erforscht wie im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön. Die geschützten Biotope können nicht nur Aufschluss über die Wasserqualität geben, sondern sind wichtige Lebensräume für kleine Lebewesen, die mit dem bloßen Auge kaum zu entdecken sind. Auch in 2021 wurden wieder neue Quellen in Bayern, Hessen und Thüringen erfasst und untersucht. Dabei konnten zahlreiche Tierarten nachgewiesen werden. Allerdings wurde auch deutlich: Die wertvollen Quellbiotope sind gefährdet und müssen zum Erhalt dieser Arten besser geschützt werden.

Als Grenzlebensraum zwischen Grundwasser und Oberflächengewässer haben Quellen eine hohe Bedeutung für spezialisierte Tier- und Pflanzenarten, die an diese besonderen Umweltbedingungen angepasst sind. Aus dem Grundwasser werden Organismen wie Höhlenflohkrebse, Muschelkrebse und Ruderfußkrebse eingespült, oder sie wandern aktiv ein. Fliegen und Mückenlarven nutzen die Quellen bis zur Flugfähigkeit als Kinderstube, und in strömungsarmen Bereichen kommen Wasser- und Schwimmkäfer vor. Tiere aus feuchten Landlebensräumen kommen in die Quellbereiche, um zu jagen oder ihre Brut zu legen: der Feuersalamander, verschiedene Insekten, Spinnentiere, Tausendfüßer, Asseln und Schnecken.

Die wohl prominenteste Bewohnerin ist die Rhönquellschnecke (Bythinella compressa): Die nur etwa 2 Millimeter große Schnecke kommt als endemische Art weltweit nur in einem kleinen Areal im Dreiländereck Hessen, Bayern und Thüringen vor. Wie alle Arten, die in den Quellbiotopen existieren können, reagiert sie sehr empfindlich auf Störungen und auf menschliche Beeinflussungen. Um solche Störungen und Umweltbelastungen zu ermitteln und Maßnahmen zur Verbesserung und zum Erhalt der einzigartigen Quellstandorte entwickeln zu können, läuft im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön bereits seit 1996 ein länderübergreifendes Projekt zur Kartierung der Quellstandorte. Die Quellen werden vom Landesverband für Höhlen- und Karstforschung Hessen im Auftrag der Biosphärenreservatverwaltungen untersucht. Bezüglich der Erfassung gilt die Rhön als eine der führenden Regionen Europas: Bis heute wurden 3.841 Quellen erfasst – 2.547 in Hessen, 718 in Thüringen und 576 in Bayern. Im Jahr 2021 waren 152 neue Standorte hinzugekommen.

Alpenstrudelwurm als Indikator für sauberes Wasser

Die Kartierung umfasste in diesem Jahr die Gebiete Kammberg und Tannenberg bei Walkes (Thüringen), den Giebelrain bei Dietershausen (Hessen) und Teile des Naturschutzgebiets Schwarze Berge (Bayern). Der Fuldaer Stefan Zaenker und sein Team maßen Temperatur, pHWert und Leitfähigkeit des Wassers und erfassten das Pflanzenvorkommen. Der Fokus aber lag auf der Tierwelt, über die Aussagen zum Zustand des Quellbiotops getroffen werden können. Die beiden Eiszeitreliktarten Rhönquellschnecke und Alpenstrudelwurm (Crenobia alpina) konnten in 30 bzw. 31 Quellen festgestellt werden. „Der Alpenstrudelwurm ist ein Indikator für absolut sauberes Wasser“, erklärt Zaenker. Auffällig war allerdings die Verteilung der beiden besonderen Quellarten: Mit Ausnahme von zwei Funden des Alpenstrudelwurms in Thüringen wurden beide Arten ausschließlich bei den Kartierungen in Bayern entdeckt. „Das unterstreicht die hohe Schutzwürdigkeit des Naturschutzgebiets Schwarze Berge.“ Die Larven der Köcherfliege (Crunoecia irrorata) konnten in 22 der kartierten Quellen nachgewiesen werden.

Die Quellen, die von menschlichen Störungen weitestgehend geschützt sind, wiesen eine gute Qualität auf – das zeigten nicht nur die gemessenen physikalischen Werte, sondern zum Beispiel auch der Nachweis von Krebsarten, die ursprünglich Grundwasser besiedeln. „Viele der Quellen sind allerdings durch landwirtschaftliche Nutzung, durch Fassungen, Drainagen und Müllablagerungen gefährdet“, erklärt Stefan Zaenker. Das Ziel der drei Biosphärenreservatverwaltungen ist daher, diese Standorte zu verbessern und als Lebensraum zu erhalten. „Vor allem mit Blick auf weitere Beeinträchtigungen durch die Klimaveränderungen ist es enorm wichtig, die Kartierungsarbeiten auch in Zukunft fortzusetzen“, erklärt der Experte. Trotz der jahrzehntelangen Arbeit sind etliche Quellstandorte noch nicht erfasst. „Hinsichtlich des Artenspektrums erwarten wir noch einige zoologische Überraschungen.“ Alle Infos zum Quellen-Projekt und den ausführlichen Jahresbericht 2021 finden Sie unter https://rhoen.quellen-grundwasser.de.